Lenné-Dreieck
„Als Lenné-Dreieck wird
die Fläche zwischen Lennéstraße, Bellevuestraße
und Ebertstraße am Potsdamer Platz im Berliner Ortsteil Tiergarten
(Bezirk Mitte) bezeichnet. Dieser inoffizielle Name kommt von der Lennéstraße;
diese wiederum ist benannt nach Peter Joseph Lenné, der im 19. Jahrhundert
den Großen Tiergarten zum Landschaftspark umgestaltet hatte
Im Rahmen einer Reform der Verwaltungsbezirke
war das Lenné-Dreieck am 1. April 1938 vom damaligen Bezirk Tiergarten
zum Bezirk Mitte gekommen. Während der Teilung Berlins gehörte
das Grundstück deshalb zu Ost-Berlin. Im kriegsbeschädigten Columbushaus
wurde eine Dienststelle der Volkspolizei eingerichtet, die beim Aufstand
des 17. Juni 1953 gestürmt und angezündet wurde. Als damit das
letzte Gebäude des Lenné-Dreiecks unbenutzbar geworden war,
wurde es abgerissen und 1956/1957 die gesamte Ruinenfläche des Lenné-Dreiecks
eingeebnet. 1961 wurde die Berliner Mauer im Verlauf der Ebertstraße
errichtet. Am vor der Mauer liegenden Lenné-Dreieck wurde hingegen
von der DDR der eigentliche Grenzverlauf nur durch einen einfachen Zaun
dargestellt. Dieser Zaun wurde von West-Berlinern an mehreren Stellen niedergetreten.
So entstanden Trampelpfade als Abkürzung über das zu Ost-Berlin
gehörende Territorium.
Am 31. März 1988 wurde eine
Vereinbarung zwischen West-Berlin und der DDR über einen Gebietstausch
geschlossen, durch den 96,7 Hektar (zu denen das Lenné-Dreieck gehörte)
mit Wirkung zum 1. Juli 1988 an West-Berlin gingen. Die DDR erhielt im
Gegenzug Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 87,3 Hektar
und eine Ausgleichszahlung von 76 Millionen Mark. West-Berlin wollte auf
dem Lenné-Dreieck eine Verbindungsstraße (laut den ursprünglichen
Plänen ein Teilstück der Westtangente) errichten.
Besetzung[
Am 26. Mai 1988 – also noch vor
der Wirksamkeit der Übergabe – wurde das Lenné-Dreieck von
linksalternativen West-Berlinern besetzt und ein Zeltdorf errichtet. Dies
sollte vermeintlich dem Schutz der dort weitgehend unberührten Natur
dienen. Die Besetzung wurde durch die komplizierte politische Lage begünstigt:
Die West-Berliner Polizei durfte das Ost-Berliner Territorium nicht betreten,
sperrte es allerdings mit Metallgitterzäunen ab und versuchte die
verbliebenen schmalen Zugänge am Mauerstreifen schleusenartig zu überwachen,
während die Behörden der DDR an dem Konflikt nicht interessiert
waren. Im Zuge der Besetzung wurde der Platz von den Besetzern in „Kubat-Dreieck“
umbenannt. Norbert Kubat war am Morgen des 2. Mai 1987 festgenommen worden.
Ihm wurde Landfriedensbruch im Rahmen der Unruhen am Ersten Mai 1987 vorgeworfen.
Am 26. Mai nahm sich Norbert Kubat in der Untersuchungshaft das Leben.
Eine Haftverschonung war abgelehnt worden]Mit Wirksamkeit der Übergabe
am 1. Juli 1988 wurde das Lenné-Dreieck von mehreren Hundertschaften
der West-Berliner Polizei geräumt. 182 der Besetzer kletterten als
sogenannte „Mauerspringer“ über selbstgebastelte Leitern und entwendete
Gitter aus der Umzäunung durch die Berliner Polizei über Barrikaden
an der Mauer nach Ost-Berlin. Im Todesstreifen standen Lastwagen bereit,
die die flüchtigen Besetzer aufnahmen. Die Besetzer wurden in eine
Betriebskantine in Ost-Berlin gebracht, wo ihnen ein Frühstück
serviert wurde. Anschließend verließen sie in kleineren Gruppen
die DDR über reguläre Grenzübergänge. Im Vorfeld der
„Fluchtaktion“ hatten einige Besetzer Kontakt zur DDR aufgenommen“
(Quelle
Wikipedia)
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Ein Jahr nach meiner Freilassung
aus Bautzen wurde das Lennedreieck,also der Ort, an den die DDR-Grenzposten
mich nach der Festnahme gebracht und daraufhin durchsucht und fotografiert
hatten, von Westberliner Linksalternativen besetzt. Im Mai 1988 besuchte
uns Suse, die meiner Freundin Pia während meiner Haft, insbesondere
während der Schwangerschaft und in den ersten Wochen nach der Geburt
unseres Kindes hilfreich zur Seite gestanden und sie auch zu meinem Prozess
nach Ostberlin begleitet hatte. Sie erzählte uns, daß sie nun
mit vielen anderen Leuten auf dem Lennedreieck wohnen würde, das sie
vor kurzem besetzt hatten. Auch ihr Freund Jan-Georg, Spitzname Kipper
(genau der Kipper, der zum selben Zeitpunkt mit Onne 1982 wegen Wehrdienstverweigerung
ins Gefängnis gekommen war) zählte zu den Besetzern. Sie hatten
die Gunst der Stunde genutzt und das Gebiet einfach besetzt, weil der Westberliner
Senat, der es vor kurzem gekauft hatte, noch nicht das Hoheitsrecht und
die DDR kein Interesse mehr an dem Gebiet hatte. So ändern sich die
Zeiten, Gut eineinhalb Jahre zuvor hatte ich dieses Gebiet noch in einer
ganz anderen, völlig konträren Art und Weise erlebt, als es jetzt
die Besetzer taten.
Später, als der Westberliner
Senat offiziell Zutrittsrecht zu seinem erworbenen Territorium bekommen
hatte legten seine Ordnungshüter auch gleich richtig los, um das Gebiet
zu räumen. Nach einem verstrichenen Ultimatum begannen erste Auseinandersetzungen.
Schließlich kam es zu der für mich völlig paradoxen Situation,
daß die DDR-Grenzposten, die das ihrem kleinbürgerlich- sozialistischen
Ordnungssinn viel zu wild erscheinende Geschehen auf ihrem Ex-Hoheitsgebiet
zunächst skeptisch beäugt hatten, die Westberliner Besetzer über
die Mauer ins Todesstreifengebiet hievten, um ihnen dabei zu helfen, sich
dem Zugriff der Westberliner Polizei zu entziehen. Mit Grepo-Militärlastwagen
wurden die Besetzer dann an diverse Grenzübergangsstellen gekarrt
und konnten dort zurück nach Westberlin gehen. E gab bei dieser Hilfsaktion
keine Ausweiskontrollen, sodaß ich mir damals die Situation vorstellte,
ich wäre unter den Besetzern gewesen und mir wäre von genau den
Grepos, die mich damals verhaftet hatten, bei meiner Flucht nach Ostberlin
über die Mauer geholfen worden. Bei dieser Hilfsaktion waren mindestens
einige meiner damaligen "Entführer" ja sicher dabei gewesen. Vielleicht
hätten sie mich auch wiedererkannt und sogar zurückgewiesen.
Ganz unrealistisch war diese Vorstellung nicht, an der Besetzung dabei
gewesen und von Grenzposten Fittinger & Co bei der Flucht nach Ostberlin
unterstützt worden zu sein.
Meine Beteiligung an einer solchen
Besetzung wäre 2,3 Jahre vorher noch möglich gewesen, jetzt aber
nahm ich die linksalternative Kämpferscene ziemlich distanziert wahr
und zwar gar nicht aus politischen und anti-kulturellen Gründen (beide
teilte ich überwiegend), aber aus ideologischen Gründen. Als
„antiimperalistisch“ verstandener Kampf, Volx-Küchen-Rituale, Punkmusik
als Kampfmusik und regelmässiges Kollektiv-Plenum verdarben mir den
Spaß an einer solchen Besetzung. Viel lieber hätte ich ein solches
Gebiet mit Freigeistern, Künstlern, Neo-Archaikern und Schamanen besetzt.
(Erfreulicherweise kam es dazu später
auch, als ich zusammen mit vielen anderen Leuten das ehemalige Westberliner
Hotel "Stuttgarter Hof" besetzte und es binnen weniger Tage vor Ideen und
Projekten
aus den Nähten zu platzen schien)
Jan-Georg „Kipper“, mit dem ich zusammen
wegen des Wahlboykott-
Aufrufs 1984 in U-Haft gesessen
hatte und der im Herbst 86 auch zu denen gehörte, die gefragt wurden,
ob sie sich an der Strich-Aktion beteiligen würden, war durch seine
Flucht vor der Westberliner Polizei nach Ostberlin nun ebenfalls wieder
im Osten angekommen, auf eine völlig konträre aber im Grunde
nicht minder bizarre Weise als mir es eineinhalb Jahre zuvor widerfahren
war. Die Grepos als Fluchthelfer Westberliner Flüchtlinge, eine grossartige
Umdrehung der seit 1961 herrschenden Normalität.
Aber Kipper wußte natürlich,
daß es sich bei dieser Grepo-Hilfeleistung um eine rein prag- matische
und ansonsten um ein grosses Mißverständnis handelte, denn auch
wenn unter dem Begriff „Antiimperialistischer Kampf“ die Grepos mit den
Linksalternativen scheinbar im selben Boot (bzw. in diesem Falle im selben
LkW saßen), so konnte es nur ein Mißverständnis sein.
Die antibürgerliche subkulturelle Lebensweise, das starke anarchistische
Element, die Ausdehnung der bürgerlichen Freiheit zur anti- und unbürgerlichen
„totalen“ Freiheit, der antiautoritäre und im Grunde (auch post-)moderne
Charakter ihres Politikverständnisses, all das ging gar nicht zusammen
mit dem autoritären, kleinbürgerlich-piefigen, überordentlichen
Anspruch des SED-Regimes und seiner territorialen und politischen Grenzschützer.
Wie stark sich die Besetzer dessen
bewußt waren oder später noch wurden bleibt ungeklärt,
Teile der linksradikalen Szene hatten ja vor lauter antikapitalistischer
Fixierung das DDR-System zumindest als strategisch starke Kraft gegen den
Kapitalismus akzeptiert. Daß die komplette Linksalternativszene Westeuropas,
so sie in der DDR gelebt hätten, dort als kleinbürgerlich- anarchistische,
revisionistische und verwahrloste Elemente ausgegrenzt und auch verfolgt
worden wären ist möglicherweise manchem ihrer Protagonisten nie
klar geworden. Was zeigt, wie sehr man in Täuschungen verhangen bleibt,
wenn man sich ausschließlich auf die Worte und Gesten focussiert
und -wie auch in diesem Fall- daraus Gemeinsamkeiten herleitet und dabei
erhebliche, grundlegende Differenzen einfach nicht mehr sieht oder sehen
will .Hier waren es Worte wie „Antiimperialistischer Kampf“ und Gesten
wie „Bullenhass“ auf dem Kapitalismus dienende Polizisten.
.
Nach dem Mauerfall feierte das Lennedreieck
seine neokapitalistische Wiederauferstehung. Es wurde zunächst vom
Land Berlin übernommen und 1991 für eine Westmark dem Warenhaus
Hertie überlassen, damit dieses dort seine Zentrale errichten konnte.
1994 wurde Hertie dann von Karstadt übernommen, wodurch letzteres
zugleich auch Besitzer des Grundstücks am Lenné-Dreieck wurde.
„Der Karstadt-Konzern fühlte sich nicht an die Hertie-Zusage an den
Senat gebunden und machte aus dem kostbaren Senats-Geschenk ein ertragreiches
Geschäft: Dasselbe Stück Land wurde im Jahr 2000 für 145
Millionen Euro an den Metro-Eigentümer Otto Beisheim verkauft. Der
Karstadt-
Konzern wurde gerichtlich dazu verurteilt,
dem ursprünglichen Grundstückseigentümer, der Familie Wertheim,
eine Entschädigung zu zahlen. Das Lenné-Dreieck steht seit
der abschließenden Neugestaltung des Potsdamer Platzes im Jahr 2004
in unmittelbarer Nachbarschaft zum Sony Center und dem Bahntower. Im östlichen
Bereich wurde auf einem Großteil des Geländes das Beisheim Center
errichtet, in dem sich unter anderem das Ritz-Carlton- sowie ein Marriott-Hotel
befinden, in der westlich gelegen Dreiecksspitze wurde der Henriette-Herz-Park
angelegt.“ (Quelle Wikipedia)
Das Lennedreieck und seine nähere
Umgebung ist heute ein Vorzeige-Produkt der stadtgestalterischen Modellwünsche
des neoliberalen Gross-Berlin. Die Neumodellierung bildet eine der markantesten
Repäsentatiosorte des Wandels des damaligen Ostberlin zu einem neuen,
gigantistischen Groß-Berlin, dessen nahezu flächendeckende Kommerzialisierung
insbesondere für die neue Mitte Berlins kennzeichnend ist. Aus einem
Magneten für vornehmlich westdeutsche Outlaws und Kulturexilanten
hat sich das Innere der Stadt zum Anziehungspunkt von Groß-Investoren
und Ballermann-
Hipstern aus der ganzen Welt gewandelt.
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